ORGANISM RESPONSE

Vom 5. Dezember 2015 bis 3. April 2016 zeigt die Nationalgalerie die Rauminstallation „Organism Response“ des Berliner Künstlers David Olbrich im Sahurê-Saal der Sammlung Scharf-Gerstenberg.

"Einzelgeräusche und komponierte Klangfolgen schieben sich in- und übereinander: die Schlüpfgeräusche einer Bienenkönigin, Magengeräusche einer Kuh erschallen wie Donnergrollen durch den Raum, das Beschlagen des Eisens durch den Hufschmied begleitet die Tiere im Trab, vereinzelte, kippende Orgelpfeifen ertönen, eine Stimme singt im Hintergrund."

Für „Organism Response“ hat Olbrich in der Halle der Reiterstaffel der Bundespolizei in Berlin-Grunewald eine Klanglandschaft aus mechanisch erzeugten Klängen der Bass-Holzpfeifen einer Orgel, Tonaufnahmen von tierischen Organgeräuschen sowie performativen und theatralen Elementen inszeniert. Die dabei entstandenen Filmaufnahmen und Sounds sowie die Orgelpfeifen wurden für die Ausstellung in den sogenannten Sahurê-Saal der Sammlung Scharf-Gerstenberg transferiert. Die gewollte Offenheit der Arbeit steht hier der festgelegten Raumlogik des ägyptischen Sahurê-Tempels gegenüber, dessen Säulen im gleichnamigen Saal noch immer bewahrt werden. Diese ortsspezifische Besonderheit konfrontiert den Betrachter unmittelbar mit den Ausgangsfragen der Arbeit „Organism Response“ und ermöglicht vielfältige Perspektiven auf die Arbeit.

Ausstellung im Sahurê-Saal

3 Videos à 3 Minuten
Orgelpfeifen, Stahl, Schläuche, Videoleinwand, 2 Monitore, Lautsprecher,
Windmaschine

Innerhalb der Räumlichkeiten der Sammlung Scharf-Gerstenberg lassen sich über die Bilder, Sounds und Objekte der Installation verschiedene Bezüge zur Sammlung und Architektur des Museums herstellen. Als zentrales Element erscheint die Maschine, das Zentralorgan der Installation. Es besteht aus Luftschläuchen und übergroßen Bass-Holzpfeifen, die zwischen den historischen Säulen des Sahurê-Tempels emporragen. Über eine benutzbare Steuerung kann das orgelartige Objekt physisch verändert und plastisch werden. Die Bassklänge durchdringen mehrschichtig den Raum und setzen alle weiteren Elemente der Installation situativ mit diesem in Verbindung. In den Filmsequenzen auf der Leinwand und den beiden Monitoren laufen zwei Handlungsebenen nebeneinander:
Übungen der Reiterstaffel der Bundespolizei in Berlin-Grunewald und ein umherschweifender, Faust zitierender Schauspieler. Gerade in der Parallelität der Handelnden, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, entsteht eine surreale und traumartige Szenerie. Der gestaltende und sich artikulierende Mensch, der in seiner Suche nach Orientierung einem Plan folgt, könnte als Gegensatz gelesen werden zu dem tönenden, stummen Tier, welches intuitiv und unverstellt auf seine Umwelt reagiert.

Das sonderbare Zusammenspiel natürlicher und mechanischer Organe, das Olbrich in seiner Arbeit entwirft, lässt sich auf die Maximen des Surrealismus beziehen, die den thematischen Kern der ständigen Sammlung bilden. Die tierischen Akteure können an dem Ausstellungsort zudem an die Geschichte der Sammlungsgebäude erinnern. Mitte des 19. Jahrhunderts für die berittenen Garde du Corps des Charlottenburger Schlosses erbaut, dienten sie zur Zeit der Weimarer Republik der Polizei:
Im westlichen Stülerbau, der heute das Museum Berggruen beherbergt, wurde eine Polizeischule eingerichtet (die im Dritten Reich zu einer SS- Führerschule wurde), während sich im östlichen Stülerbau und den dazu gehörenden Bauten, die heute der Sammlung Scharf-Gerstenberg dienen, der Fuhrpark der Polizei ihren Platz fand.

Thema

Zentrales Thema der Arbeit von David Olbrich ist die Frage nach der „großen Ordnung“, wie sie uns in der Vorstellung von einem göttlichen Schöpfungsplan ebenso wie in Reglements und Konventionen oder in der Idee des nach Totalität heischenden Standards begegnen. Als Verständigungsmuster und Orientierungssystem gewähren sie uns Hilfe und Schutz. Als normiertes System oder festgefahrene Formel können sie aber auch den Blick auf wesentliche Erkenntnismöglichkeiten verstellen. So könnte gefragt werden, welche Zugänge zur Welt sich finden ließen, wenn das Unvorhersehbare oder auch Unabschließbare als produktive Ausgangspunkte der Erfahrung dienen?

Das Projekt folgt dieser Idee und hinterfragt die These, dass zu den wahren kulturellen Leistungen eine Offenheit für Phänomene zählen könnte, die sich nicht kontrollieren oder beherrschen lassen, sondern immer wieder neu und singulär erlebt werden müssen. Olbrich bezeichnet es selbst als einen „Weg vom Abgeschlossenen zum Unabgeschlossenen“. Diese produktive Offenheit möchte er auch in dem Projekt „Organism Response“ herstellen.

Gewohnte Schau- und Höranordnungen werden durcheinander und in neue Beziehungen gebracht. Es begegnen sich hierbei der gestaltende und artikulierende Mensch und das tönende/stumme Tier. Einzelgeräusche und komponierte Klangfolgen schieben sich in- und übereinander: die Schlüpfgeräusche einer Bienenkönigin, Magengeräusche einer Kuh erschallen wie Donnergrollen durch den Raum, das Beschlagen des Eisens durch den Hufschmied begleitet die Tiere im Trab, vereinzelte, kippende Orgelpfeifen ertönen, eine Stimme singt im Hintergrund. Es passieren Dinge, die sich beim Erleben nur schwer oder gar nicht wirklich einordnen lassen, während andererseits Bedeutungen angenommen werden. Maschine versus dem lebendigen Organismus, der Gestaltungswille des Menschen versus dem „Unverstellten“ beim Tier. Immer wieder steht das bewusste Gestalten und Regulieren innerhalb einer scheinbaren Ordnung dem offenen und unabschließbaren Ereignis des unmittelbaren Wahrnehmens und Reagierens gegenüber. Das Pferd erscheint domestiziert und in den (polizeilichen) Dienst des Systems gestellt. Zugleich wird es funktionalisiert als das von Erkenntnis freie Tier, für Olbrich der Inbegriff „unverdorbener humaner Regung“. Es betritt ohne jede künstlerische Ambition die Bühne. „Ihr gieriger Durst nach Realität, geht ganz ohne verbissenes Erkenntnisverlangen über die Bühne“, meint Olbrich mit einem Augenzwinkern. Ist es das, was wir in der Installation erleben können? Dass der Mensch seine Erweiterung und leitende Direktive gerade dort zu finden scheint, wo er sich selbst keine Einschränkungen auferlegt hat und sich dennoch immer wieder selbst den Weg dorthin verbaut?

ANGABEN ZUM WERK
Installation: David Olbrich
Ton: Frauke Schmidt
Musik Beratung: Matthias Grübel
Kamera: Julie Schroell Loufok Productions
Schnitt: David Olbrich und Julie Schroell
Darsteller: Felix Römer
Sängerin: Alexandra Marisa Wilcke
Kostüm: Lydia Sonderegger
Fotos: Reiterhalle Miriam Lehnart, Ausstellung Stefan Klenke

AUSSTELLUNGSORT
Sammlung Scharf-Gerstenberg / Staatliche Museen zu Berlin
Schloßstr. 70, 14059 Berlin
Di-Fr 10–18 Uhr, Sa–So 11–18 Uhr
www.smb.museum

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